Wenn Helene Fischer über den Golf von Thailand hallt: Gedanken einer Kreuzfahrt


Vorwort:

Der folgende Text soll keine Kritik oder Zurechtweisung bestimmter Urlaubskonzepte sein. 

Dennoch hat mich eine 14-tägige Kreuzfahrt derart bewegt, dass ich es als meine Pflicht sehe, zumindest per Blog meine Perspektive darauf darzulegen.

 

Zusätzlich zum eigenen Auseinandersetzen mit den besuchten Ländern und Kulturen haben mich meine Mitreisenden, deren Auftreten und Kommentare und das dadurch geprägte Image Deutschlands im Ausland stark beschäftigt (siehe dazu auch Kulturschock - Dritte Dimension). Außerdem ist es interessant zu erfahren, wie sich die Dynamik der Gruppe entwickelt, wenn sie sich in Mehrheit und einen Einzelgänger mit anderer Meinung trennt.

 

Das Resumè für mich ist recht klar: Kreuzfahrt in der Form war für mich der falsche Urlaub. Hängematte, Meer und die besuchten Städte habe ich dennoch genossen. Jedem das Seine: dem Einen Individualurlaub, dem Anderen Aida Kreuzfahrt.


Tha Tian Markt Bangkok
Tha Tian Markt Bangkok

Schon oft habe ich von Kreuzfahrern gehört und trotz mehrjähriger Segel- Liebhaberei habe ich mich für eine Fahrt in Südostasien entschieden. 

 

Wir starten in Bangkok und der erste Eindruck am Flughafen beim Transfer zum 1,5 Stunden entfernten Hafen: ich bin hier die Jüngste. Mit 38 Jahren. Der Altersschnitt liegt bei, geschätzt, 50 Jahren. Der kulturelle Unterschied der Gäste besteht in deren Dialekt, nicht Nationalität. Der Icebreaker beim Gesprächsseinstieg "Sie kommen doch auch aus Sachsen?" 

 

Schon auf dem Weg ins Restaurant und über die Gänge fällt auf, dass das Servicepersonal primär aus Thailand / Asien eingestellt ist. Richtig irritiert bin ich, wenn Sie in Deutsch antworten, obwohl ich sie in Englisch anspreche. Selbst das Wort Schnapsitaxi (Wagen mit Schnaps Angebot zum Kauf, der durchs Restaurant fährt) beherrschen sie fast einwandfrei. Waren wir nicht im Ausland, in ihrem Land?

 

Ich entscheide mich am ersten Tag gegen geführte Ausflüge sondern besuche Bangkok auf eigene Faust, was bei Anderen wenig Verständnis findet. Wie kann man für einen Transfer mehr zahlen als für einen organisierten Tag mit Reisebegleitung? Meine Priorität liegt auf Eigenregie, Zeit für einen Kaffee, Schnappschüsse, Beobachtungen. Und so finde ich dann auch einen kleinen, feinen Markt in der Nähe von Wat Pho, der den Charme des ganzen Tages ausmacht. Abseits der Touristenströme und eben doch nur zehn Meter daneben.

Nächster Stop: Koh Samui.

Taxifahrer fangen uns direkt am Hafen ab und bieten die Begleitung für den ganzen Tag an. Wir fahren nach Na Muang, einem Wasserfall. Direkt beim Aussteigen bemerken wir einen Elefanten plus Baby. Erst beim Nähertreten fällt auf, dass er an einer 1m langen Leine angekettet ist und sein Baby grad von Touristen gefüttert wird. Um an die Banane zu kommen berührt es den Stacheldraht, der den Zaun unterstützt, mit dem Mund. Zwei Elefanten, verhaltensauffällig, als Werbung für Trekkingtouren. Bei der Weiterfahrt an einen Strandabschnitt treffen wir primär Deutsche, die Sonne und Bier genießen und von Thai in Deutsch angesprochen werden, um Sonnenbrillen oder andere Strandartikel zu kaufen.

Lichtershow am Marina Bay Sands, gesehen vom Merlion Park
Lichtershow am Marina Bay Sands, gesehen vom Merlion Park

Erster Seetag, ein Tag auf 100km Entfernung zum Festland inklusive Ausschlafen und ohne Programm. Zeit für Hängematte und entspanntes Nixtun. Für den Deutschen unter uns Deutschen gibt es Kaffee und Apfelstrudel. Ich spaziere übers 12. Deck der AIDAbella: Handtücher auf herrenlosen Liegen. Abends dann: Party zum Alpenglühen. Gäste in Dirndl und Lederhosen. Thai in Trachtenhemden, Helene Fischer und Bourani im Golf von Thailand.

 

Die nächsten Stops in Singapur und Kuala Lumpur sind beeindruckend. Emsige Städte, die eine sauberer, die andere geschäftiger. Und der Tourist, der seine Präferenz nicht auf das Abendessen auf der Aida legt, wird mit einer Lichtershow am Marina Bay Sands belohnt.

 

Auf nach Vietnam, 1.500km quer durch das Südchinesische Meer. An Bord Kunstauktionen und Schlagerparty zum Zeitvertreib. Nach der Besichtigung von Ho Chi Minh City häufen sich dann Bemerkungen beim Abendessen: "Die Toiletten gingen ja gar nicht! Wieso bauen die keine ordentlichen, wenn sie wissen, dass so viele Touristen kommen!" Man setze dies mal in Relation zur aktuellen Flüchtlingssituation in Deutschland. "Ich mache keinen Schritt mehr in diesem Land, viel zu schmutzig.

Schule im Ream Nationalpark Kambodscha
Schule im Ream Nationalpark Kambodscha

Zum Abschluss besuchen wir noch Sihanoukville in Kambodscha, das ärmste Land in Südostasien. Die Reiseleitung weist bereits vor dem Landgang auf die Umstände hin und bittet um Verständnis. Im Katalog für 2018 ist dieses Ziel nicht mehr im Programm zu finden. Die Armut und das Leben der Menschen in einem kleinen Dorf im Ream Nationalpark bewegen mich. Brunnen, Toiletten und Schule (links) sind in einem Zustand, den wir uns nur schwer als Realität vorstellen können.

 

Da es unser letzter Abend an Bord ist, folgt Aida der Tradition und setzt Hummer auf die abendliche Speisekarte. Wir haben noch nicht einmal abgelegt, dennoch wartet der Kreuzfahrer bereits vor 18 Uhr vor dem Restaurant, um den besten Tisch zu ergattern. Keine 30 Minuten vorher und 200 Meter gen Land sehen die Umstände gegenteilig aus. Und dennoch empfindet man die Menschen nicht als unzufrieden. In den Gesprächen zum Essen mehren sich Kommentare, dass man seine eigenen Grenzen ja achten kann und nicht alles erleben muss. Viele scheinen das Beobachtete eher auszublenden als sich weiter intensiv damit zu beschäftigen und setzen zu lassen.

 

Zur Farewell Party wird der Verbrauch der zweiwöchigen Reise zusammengefasst: 3.500 Rollen Toilettenpapier, 7.400 Liter Weißwein, 6.500 Liter Bier und alleine täglich 16.400 Eier.

Ein paar Fragen, die mir durch den Kopf geistern:

Ist sich die jetzige Generation Rentner bewusst, wie gut sie es hat? Die Anzahl der Rentner an Bord, die wiederholte AIDA Urlauber sind, ist auffällig. Wenn ich als Rentner noch jährlich in dieser Preisklasse verreisen kann, dann schätze ich mich glücklich.

Was würde passieren, wenn wir uns richtig auf eine Kultur einließen? Mit regionalem Essen an Land, auf Menschen zugehen, Taxi oder TukTuk fahren und hinter die Touristenpfade schauen und nicht nur die Top Ten Sehenswürdigkeiten abklopfen.

Wieso erheben die Thai nicht den gleichen Anspruch an uns Deutsche im Ausland: sprecht doch unsere Sprache oder zumindest Englisch! Zeigt Interesse an den Einheimischen! Wir sollten unser Verhalten im Ausland besonders im Hinblick auf aktuelle Wünsche an Flüchtlinge in Deutschland nochmal spiegeln.

Wissen wir eigentlich wie gut wir es im internationalen Vergleich haben? Ist es Geburtsrecht oder einfach nur Glück auf welchem Fleckchen man geboren wurde?

Wieviel schlechter würde es uns wirklich gehen, wenn wir mehr teilen müssten oder Deutschland sich international sozialer engagieren würde? Sozial spenden oder in Sicherheitstechnik investieren, damit wir uns wieder sicher fühlen? Dann doch lieber teilen!

Wieviele der Passagiere schimpfen auf die Merkel'sche Politik und die Verhältnisse in Deutschland? Wieviele davon wählen Randparteien?

Sind sich Veranstalter wie Aida um deren Einfluß auf das Image Deutschlands bewusst? Statt Ängste abzubauen, hat Aida diese eher geschürt ("Klar, Sie können auch die Taximafia nehmen." als ich nach der Meinung zu individueller Reise frage, mehrmalige Betonung auf Diebstahl und verunreinigtes Essen). Warum nehmen Veranstalter wie Aida nicht auch einen Teil der Verantwortung und bieten zumindest Vorträge, Diskussionen zu den Ländern an, geben die Möglichkeit sich aktiver mit anderen Kulturen auseinanderzusetzen, unterstützen Offenheit? Weil man bei der Party nicht stören will? Weil es den Kommerz stört, der eh in jeder Abendveranstaltung betont wird?

 

Die wahrste und ehrlichste Antwort kam von einem kleinen Jungen, der in der abendlichen Prime Time Show zu den News des Tages danach befragt wurde, wo er herkommt. Seine Antwort: "Deutschland", er nennt sein Land, nicht die Heimatstadt. Wenigstens er hat die Relation verstanden und den Maßstab wieder richtig gesetzt. Und in seiner kleinen wunderbar naiven Antwort die Reise perfekt zusammengefasst. Applaus für ihn!


Nachtrag zu Interkultureller Theorie:

 

Interkulturelle Trainer und Consultants finden eine Erklärung der obigen Beschreibungen im Modell zur Entwicklung interkultureller Sensibilität von Milton Bennett.

Menschen, neu im Umgang mit anderen Kulturen (ethnozentrisch, im Bild links), sind sich einer anders gelagerten Interpretation der beobachteten Verhaltensweise nicht bewusst und bewerten daher nur aus eigener Perspektive. Expatriates, oder Menschen mit häufigem und auch langfristigem Umgang im Ausland (ethnorelativ, im Bild rechts) haben gelernt, dass man mit verschiedenen Augen auf die gleiche Situation schauen kann. Dabei findet dieses Verhalten Akzeptanz, man kann sich selbst mehrerer Verhaltensweisen bedienen und Bewertung findet nur geringfügig statt. Dazwischen gibt es beschriebene Entwicklungsstufen.

 

Bei Interesse an den Perspektiven anderer Kulturen und persönlicher Entwicklung hilft nur Eines: Einlassen, Nähe suchen, Erfahrungen machen. Aktive Auseinandersetzung. Es gibt keine Abkürzung.

 

Mehr dazu bei Wikipedia 

nach: Milton Bennett, Developmental Model of Intercultural Sensitivity (DMIS)
nach: Milton Bennett, Developmental Model of Intercultural Sensitivity (DMIS)
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